Rumpftrageerschöpfung -
Wie erkenne ich sie und was kann ich dagegen tun?
Der Rumpftrageapparat
Die Rumpftrageerschöpfung ist, wie der Name schon verrät, eine Erschöpfung der Rumpfträger. Doch was heißt das genau?
Die Vorderbeine des Pferdes sind, anders als bei uns Menschen, rein muskulär mit dem Rumpf verbunden, Pferde besitzen also kein Schlüsselbein, dies nennt man eine Synsarkose. Der Rumpf bzw. Brustkorb hängt zwischen den Vorderbeinen, sozusagen wie ein Schiffsbug zwischen zwei Pfeilern, welcher durch Muskulatur gehalten wird. Der Vorteil dieser gut durchdachten „Konstruktion“ besteht darin, dass Stöße beim Auffußen der Vorhand gut abgefedert werden können, ein nahezu verschleißfreies Laufen ist so möglich.
wichtigster Rumpfträger: M. serratus ventralis, der „gesägte“ Muskel
Der M. serratus ventralis hat einen Hals- (pars cervicis (1)) und einen Rumpfteil (pars thoracis (2))
Der Halsteil des Muskels hat seinen Ursprung unter dem Schulterblatt und seinen Ansatz am 3.-7. Halswirbel. Der Rumpfteil hat seinen Ursprung ebenfalls unter dem Schulterblatt und seinen Ansatz an den ersten 9 Rippen.
Neben seiner Aufgabe als Rumpfträger, unterstützt dieser Muskel außerdem das Kopfheben, das Einatmen und die relative Aufrichtung (Heber des Hals-Brustübergangs).
Wenn dieser Muskel jedoch erschöpft ist und seiner Funktion nicht mehr nachkommen kann, rutscht der Rumpf zwischen den Vorderbeinen nach unten hindurch und aus einer "Bogenbrückenkonstruktion“ wird dann eher eine "Hängebrückenkonstruktion“.
mögliche Ursachen einer Rumpftrageerschöpfung
-reiten in absoluter Aufrichtung oder zu lange in relativer Aufrichtung
-einseitiges Training
-Hinterhand tritt nicht unter den Schwerpunkt (Pferd latscht auf der Vorhand)
-zu starke Handeinwirkung am Zügel
-unpassende Trainingsintensität, zu wenig/kurze Erholungsphasen (Ermüdung und Übersäuerung der Muskulatur)
-Überlastung / Überforderung
- reine Boxenhaltung, wenig freie Bewegung
-unpassender Sattel
-zu schwerer Reiter
-unphysiologische Kopfhaltung (z.B. zu hoch aufgehängte Heuraufe/Futterkrippe, Scheck beim Trabrennen)
-Blockaden oder Schmerzen
- ….
Wie erkenne ich eine Rumpftrageerschöpfung bei meinem Pferd?
Die folgenden Merkmale sind typisch für eine Trageerschöpfung:
-tiefer Halsansatz (Hirschhals)
-ausgeprägter Unterhals
-häufiges Stolpern mit der Vorhand
-Pferd läuft optisch „bergab“
-„Loch“ hinter dem Schulterblatt
-die oberen Ränder der Schulterblätter sind nahezu auf gleicher Höhe mit dem Widerrist
-unterständige bzw. rückständige und/oder bodenenge Vorhand
-starke Muskulatur hinter dem Ellenbogen (M. triceps) und am Unterarm
-hervorstehendes Brustbein
-„starke“ Brustmuskulatur => wirkt nur so, da nach unten durchhängt
-die Rückenlinie hinter dem Widerrist steigt an
-Pferd wirkt hinten überbaut
-lautes/hartes Auffußen mit der Vorhand
-evtl. leichte Kyphose in der Lendenwirbelsäule (Lendenwirbel bilden leichten Bogen)
-Kreuzbeinhöcker stehen prominent hervor
-Sattel rutscht nach vorne
-Sattelzwang
-schwache/wenig Bauchmuskulatur
-starke „Hosenmuskulatur“ (M. tendinosus, M. membranosus und M. biceps femoris) => versuchen gegenzuhalten
Wenn ihr mehrere dieser Merkmale bei eurem Pferd erkennt, solltet ihr euer Pferd einmal von einem Pferdephysiotherapeuten durchchecken lassen.
Was sind die Folgen einer schwachen Rumpfmuskulatur?
Die Stoßdämpferfunktion ist nicht mehr gegeben, das Pferd „verschleißt“ schneller. Die Gelenke, insbesondere die vorderen Fesselgelenke federn nun die Stöße beim Auffußen der Vorhand ab, was bei dauerhafter Belastung zu frühzeitigem Gelenkverschleiß und Sehnenschäden führen kann.
Die Hals- und Brustwirbelsäule stehen in Streckung, hier kann es nun vermehrt zu Blockaden kommen oder zu Kissing Spines, besonders anfällig dafür ist die Sattellage.
Die Brustmuskulatur übersäuert und verspannt aufgrund übermäßiger und falscher Beanspruchung, dies kann sich dann in Sattelzwang äußern. Durch die in Streckung stehende Halswirbelsäule ist eine relative Aufrichtung nicht mehr möglich. Bei der absoluten Aufrichtung entsteht dann zusätzlich ein falscher Knick in der Halswirbelwirbelsäule.
Beim Reiten fällt es dem Pferd schwer die Vorhand frei aus der Schulter vorzuführen, ein latschiger Gang ist die Folge, die Vorführphase ist verkürzt, aber besonders das häufige Stolpern wird von meinen Besitzern wahrgenommen. Dies kann nicht nur durch den abgesackten Rumpf an sich ausgelöst werden, sondern durch eine daraus resultierende Quetschung eines großen Nervengeflechts, dem Plexus brachialis. Dieses Nervengeflecht innerviert die Muskulatur der gesamten Vorhand, Schulter und Teile der Brust. Wenn nun die Vorführer der Gliedmaße nicht gut innerviert werden, liegt es nahe, dass auch die Wahrnehmung, Koordination und Feinfühligkeit darunter leidet.
Trainingsvorschläge bei bestehender Rumpftrageerschöpfung oder zur Prävention
Bevor mit dem angepassten Training begonnen wird, solltet ihr das Pferd von einem Pferdephysiotherapeuten/ Chiropraktiker durchchecken lassen, der evtl. bestehende Blockaden löst und die durch die Trageerschöpfung in Mitleidenschaft gezogenen Muskelpartien lockert.
Bei einer Rumpftrageerschöpfung bleibt es meist nicht bei einer Behandlung. Hier sollte der Therapeut trainingsbegleitend alle paar Wochen „nachjustieren“, um den heruntergerutschten „Schiffsbug“ wieder „seetauglich“ zu machen.
Es gibt natürlich keinen allgemeingültigen Trainingsplan, der für jedes Pferd anzuwenden ist. Hier muss der behandelnde Therapeut einen auf das Pferd abgestimmten Trainingsplan entwickeln und Alter, Ausbildungs- und Trainingsstand/Fitness mit einbeziehen. Sprecht diesen mit eurem Reitlehrer ab und integriert die genannten Vorschläge in den Reitunterricht, so habt ihr gerade zu Beginn die Gewissheit, dass die Übungen auch korrekt ausgeführt werden, denn nur so sind sie hilfreich.
allgemeine Hinweise fürs Reiten und für die Longenarbeit:
-Reiten in Dehnungshaltung
WICHTIG DABEI IST Dehnungshaltung als „Lektion“ einbauen, nicht als Dauerhaltung, die Dauer der Dehnungshaltung kann jedoch von Woche zu Woche etwas gesteigert werden
-Nase mind. auf Schultergelenkshöhe
wenn möglich auch tiefer, dabei immer auf die aktiv unter den Schwerpunkt fußende Hinterhand achten
-unterschiedliche Reize setzen
durch ständige Handwechsel, Übergänge und Tempiwechsel (innerhalb einer Gangart)
-Trab als etwas vorherrschende Gangart
für die Dehnungshaltung wählen, zu viel Galopp kann sich kontraproduktiv auf die Rumpftrageerschöpfung auswirken aufgrund der Einbeinstützphase der Vordergliedmaße
-Erholungspausen einbauen
zwischen den Lektionen und wenn das Pferd müde wird oder nur noch auf der Vorhand „latscht“ sofort eine Pause einlegen um eine Übersäuerung und Verspannungen zu vermeiden
-Zügel aus der Hand kauen lassen
wenn möglich und ein paar Minuten am hingegebenen Zügel Schrittpause einlegen
-kurze, korrekte Trainings
sind effektvoller als langes „Draufrumreiten“, die Muskulatur wächst und erholt sich in der Ruhephase, nicht beim Training!
unterstützende Bodenarbeit
Zwischen den Trainingstagen kann gern mit Bodenarbeit weiter trainiert werden, so hat die Muskulatur Zeit sich einerseits zu erholen bzw. wird anders beansprucht und das Training wird noch abwechslungsreicher gestaltet.
-Stangenarbeit
lasse das Pferd an der Hand zunächst vorwärts und nur mit den Vorderbeinen über eine einzelne am bodenliegende Stange treten. Lasse es dann vorsichtig rückwärts über die Stange zurücktreten.
Nun lasse das Pferd mit den Vorder- und Hinterbeinen über die Stange treten und vorsichtig ebenfalls zurück mit den Hinterbeinen und dann mit den Vorderbeinen.
-Rückwärts bergauf
lasse das Pferd, wenn sich die Möglichkeit bietet, rückwärts bergauf gehen
-Podest treten
lasse das Pferd auf ein Podest treten, welches ca. 30-40 cm hoch, rutschfest und stabil sein sollte. Führe das Pferd vorsichtig an diese Übung heran, um die Verletzungsgefahr gering zu halten. Nimm ein Vorderbein und setze es vorsichtig auf dem Podest ab, versuche es dann auf das Podest zu führen, so dass das zweite Vorderbein nachgezogen wird. Wenn das Pferd einmal verstanden hat was die Aufgabe ist, führen die Pferde diese Übung oft schon selbstständig aus. Schwerpunkt und Sinn der Übung soll das "Aufsteigen" auf das Podest selbst sein, nicht das "Draufstehenbleiben". Das Pferd verlagert beim Aufsteigen den Schwerpunkt auf die Hinterhand, die Vorhand wird leichter und kann sich so etwas herausheben.
(es eignen sich auch zwei übereinandergelegte und fixierte EURO-Paletten als Podest, auf die eine rutschfeste Gummimatte genagelt wird)
Ich möchte anmerken, dass dies nur Trainingsvorschläge sind, einen individuellen und auf das jeweilige Pferd abgestimmten Trainingsplan sollte dann der behandelnde Pferdephysiotherapeut erstellen. Alle Übungen werden auf eigene Gefahr ausgeübt.
TIPP:
Fotografiert euer Pferd zu Beginn des Trainings von allen Seiten auf ebenem Boden und dokumentiert den Trainingsfortschritt ca. alle 4 Wochen mit neuen Fotos.